Kunstverein in Hamburg, 27.01.–14.04.24

The 90s Onstage

Still from Performance Köm-ür choreographed by Aydın Teker, as part of Seretonin II

Die 1990er Jahre sind eine politisch und wirtschaftlich angespannte Zeit für die Türkei. Elf Koalitionsregierungen in zehn Jahren, die Wirtschaftskrise von 1994 und die darauffolgende Sparpolitik sowie eine zunehmende Zahl ungeklärter Kriminalfälle und politischer Skandale erschüttern das Land. Doch das Vermächtnis dieses Jahrzehnts beschränkt sich nicht auf diese Ereignisse: Der Kampf um soziale Rechte, der in den 2000er Jahren an Fahrt gewinnen sollte, nimmt in den 1990er Jahren seinen Anfang. Popkultur erlebt aufgrund einer Reihe privater Radio- und Fernsehsender einen beispiellosen Aufschwung. Türkische Pophits werden im Wahlkampf eingesetzt und füllen Straßen und Plätze. Nachdem der Nachhall des Putsches vom 12. September 1980 verklungen und der Eiserne Vorhang gefallen ist, stellt sich die Türkei auf eine neue Phase der kulturellen und wirtschaftlichen Veränderung ein. In diesen Jahren wird die Freiheit in der Kultur-, Kunst-, Performance- und Mediengeschichte Istanbuls beständig erweitert. Das „Interdisziplinäre“ in der türkischen Kunstszene rückt in dieser Zeit in den Vordergrund. Hier bietet Performance einen Ausweg und ein Entkommen aus den Begrenzungen der Disziplin(en) für Künstler:innen, die nach zeitgenössischen Ausdrucksformen suchen. Hier bietet die Performancekunst einen Möglichkeitsraum für experimentelle und direkte künstlerische Praktiken. Die Beziehung zwischen „Bühne“ und Performance beruht auf gegenseitiger Abhängigkeit. Durch neue Medien und eine veränderte „Bühne“, die sich gegenüber sozialen Wirklichkeiten öffnet, ändern sich Performance und Performativität.

Letztendlich führen diese Verschiebungen zu einem grundlegenden Wandel im Verständnis von Kunst. Während die „Bühne“ in der Türkei in den 1990er Jahren ihre Reichweite vergrößert und durch verschiedene Fernsehsendungen, 900er-Hochtarifnummern und Telefonbetrug in jeden Winkel des gesellschaftlichen Lebens eindringt, so dringt auch die Performance in unerwarteter Weise in Straßen und Wohnungen ein. The 90s Onstage nutzt den Begriff Performance als Schlüssel zum Verständnis des Jahrzehnts, da dieser es ermöglicht, eine Vielzahl von Türen zur Geschichte von Kultur, Kunst und Unterhaltung zu öffnen. Die Ausstellung, die sich auf Ereignisse konzentriert, bei denen performative Inszenierungen und Werke im Vordergrund stehen, beruht auf Archiven. Sie umfasst eine Vielzahl eindrucksvoller Inszenierungen, die von Live-Performances über Videoclips bis hin zu Fernsehsendungen reichen. The 90s Onstage spürt den zunehmend sichtbaren performativen Inszenierungen dieser Zeit in öffentlichen Parks, Bars, historischen Orten, verlassenen Gebäuden und an Ufern und entlegenen Ecken nach, stellt unerwartete Verbindungen her und verweist auf die vielfältigen Möglichkeiten die „Bühne“ zu betrachten. In diesem Kontext werden Bühnen zum Verhandlungsort der Wirklichkeit und bilden dabei flüchtige oder dauerhafte Gemeinschaften. The 90s Onstage untersucht die Praxis der Performancekunst in Bezug auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und öffentliche Räume, und präsentiert einen Querschnitt von Kulturgeschichte, indem sie sich mit den kollektiven Initiativen des Jahrzehnts beschäftigt. Die in Zusammenarbeit mit Salt organisierte Ausstellung wird von Amira Akbıyıkoğlu zusammen mit der Forscherin Mine Söyler und dem Designer Emirhan Altuner für die Räume des Kunstvereins neu konzipiert. Zum ersten Mal gezeigt wurde das Projekt zwischen dem 15.September 2022 und dem 2. April 2023 in den Räumen von Salt in Beyoğlu und Galata in Istanbul, dass im Rahmen des Programms „Our Many Europes“ von L’Internationale stattfand.

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